Do bèscht de platt!
Verdammt, wie heißt denn jetzt noch mal Schnaps auf Französisch? Ich werfe einen sehnsüchtigen Blick durch die offenstehende Ladentür auf den Festungsfelsen. Dort oben thront, imposant und verlockend, die mittelalterliche Burg der Herzöge von Lothringen. Ich liebe es, alte Gemäuer zu entdecken und mir vorzustellen, wie das Leben wohl so war für das kleine Burgfräulein, das Jahrhunderte vor mir in der Fensternische saß und auf Sierck-les-Bains hinabblickte. Normalerweise kraxele ich ja eher durch schottische Ruinen und überlasse die nordfranzösischen Burgen den britischen Touristen. Eine Burg, die gleich vor der eigenen Haustür liegt, ist ja nicht interessant. Oder vielleicht doch? Genau das wollte ich eigentlich heute herausfinden. Nur habe ich leider den Fehler gemacht, meiner Freundin begeistert von meinem Plan zu erzählen ...
"Du fährst nach Lothringen? Bringst du mir 'ne Flasche Mirabellenschnaps mit?" Klar doch, wieso nicht, so 'ne Flasche ist ja schnell gekauft. Denkste. Anstatt romantischen Träumereien nachzuhängen, steh ich jetzt in dem kleinen Souvenirshop und überlege krampfhaft, wie das französische Wort für Schnaps ist. In den Regalen steht nämlich keiner. Die scheinen hier mehr auf Seife und Marmelade spezialisiert zu sein. Mirabellenmarmelade immerhin. Keine Mirabellenseife allerdings, so weit ich das Sortiment überblicke. Ein verhutzeltes altes Männchen, wohl der Ladenbesitzer, kramt hinter der Theke herum. Der ist auch keine große Hilfe, so schlechtgelaunt wie der vor sich hin grunzt.
Ich beäuge noch mal verzweifelt die Auslage. Die scheinen wirklich keinen Alkohol zu führen. Komisch, so was ist doch sicher ein Verkaufsrenner. Ich komm wohl nicht umhin, den Mann zu fragen. Wenn mir nur das Wort einfiele! Vielleicht soll ich einfach ganz forsch das luxemburgische nehmen: "Avez-vous une Mirabellendrëpp, s'il vous plaît?" Oder so: "Je veux un Mirabelleschnaps." Klingt irgendwie blöd. Wieso kuckt der jetzt so komisch? Ich hab doch noch gar nichts gesagt.
Mist. Soviel zur hochgelobten Mehrsprachigkeit der Luxemburger. Wir sprechen alles: Luxemburgisch, Deutsch, Französisch, Englisch und natürlich auch ein paar Brocken Holländisch, Italienisch und Spanisch (beim letzten Urlaub aufgeschnappt). Aber wenn's drauf ankommt, fällt einem immer bloß der richtige Ausdruck in der falschen Sprache ein. So wie neulich bei meiner Freundin in Saarbrücken: "Ich hab morgen ein Rendezvous beim Zahnarzt", hab ich ihr erzählt. "Aha, ein Stelldichein mit Füllung und Bohrer", meinte sie lachend. Jaja, wenn das verflixte Wort nun mal Rendezvous auf Luxemburgisch heißt. Die französischen Verkäufer in Luxemburg sind da gottlob flexibel: wer im November "un curbisse" und im Dezember "un boxemännchen" verlangt, erhält kommentarlos Kürbis und Weckmänner. Ob das hier vielleicht auch klappt? Ich murmele beschwörend "eng Drëpp" vor mich hin. Der Mann hinter dem Tresen kuckt immer mißtrauischer. Der denkt wohl, ich hab sie nicht mehr alle. Gehen wir die Sache mal logisch an: auf Deutsch heißt das Ding Schnaps, auf englisch hard liquor, auf Französisch … wahrscheinlich irgendwas komisch Lateinisches. Überhaupt, Mirabellenschnaps. So 'ne Schnapsidee. Jetzt muß ich fast lachen. Vielleicht sollte ich einfach nach "alcool" fragen?
"Wélscht de en Schnaps?", knurrt mich der Alte plötzlich an. Ich bin sprachlos. Hat der gerade "Wëlls de e Schnaps?" gefragt? Auf Luxemburgisch? Ich weiß nicht, was ich sagen soll, deshalb sag ich zuerst mal gar nichts. Der Mann scheint meine Gedanken erraten zu haben, denn er erklärt: "Ich schwätze Platt, mein Kénd." Lothringer Platt, ach so! Das klingt ja fast wie Luxemburgisch. Wie praktisch.
Der Mann greift hinter sich und stellt eine Flasche vor mich hin. Da, keine zwei Meter vor meiner Nase, stehen die heißbegehrten Spirituosen. Augen haben sie und sehen nicht, denke ich resigniert und grinse den Mann verlegen an. Er blinzelt mir verschwörerisch zu und dann lachen wir beide. Ich bedanke mich und frage nach dem Preis. Komisch, plötzlich fallen mir die französischen Ausdrücke problemlos ein. Ich bezahle und wir schwatzen noch ein wenig über die Burg. Und wenn ich mal ein Wort nicht weiß, dann sag ich's halt auf Luxemburgisch. Das ist ja auch kein Problem, unter Nachbarn.
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